Klaras Kiste

*vorgestellt von Michaela Pettermann-Kisling

Ein Sarg als Abschiedsgeschenk?

Ein ungewöhnlicher Gedanke.

Sofort fesselt mich diese nahezu provokante Idee mit dem jeden Menschen betreffenden Thema: das Sterben und einen möglichen Umgang damit.

Worum geht es genau in der Geschichte?

Klara ist die Lehrerin der 4. Kasse, in die auch Julius geht. Als Julius und seine MitschülerInnen erfahren, dass ihre geliebte Lehrerin unheilbar krank ist, wollen sie nicht alle Hoffnung fahren lassen und überlegen sich, wie sie ihr helfen könnten, gesund zu werden.

Schnell wird jedoch klar, dass das Sterben ihrer Lehrerin ein Prozess ist, den sie nicht aufhalten können und wollen mit ihr noch eine schöne Zeit verbringen.

In der Klasse wird ein Strand aufgebaut, an welchem sich die Lehrerin ausruhen und bei „ihren“ Kindern sein kann. Am Strand liest sie ihnen vor und gemeinsam versuchen sie, in der Zeitlosigkeit des Vorlesens, wertvolle Momente ewig werden zu lassen.

„Es ist eine Geschichte von Freundschaft und Mut. Sie berichtet, wie jeder sein Bestes gibt, damit das Böse nicht gewinnen wird. Und das Böse ist da. Es steckt zwischen den Seiten, droht bei jedem Umblättern herauszukommen, um das Gute zu vernichten, das plötzlich winzig und schwach erscheint. Manchmal wird es so spannend, dass sie wissen wollen, wissen müssen, wie das Buch endet. Die Lehrerin schüttelt jedoch den Kopf und sagt, dass es wie im wirklichen Leben ist. Da kann auch keiner sein letztes Kapitel im Voraus lesen.“

Doch das letzte Kapitel kommt unweigerlich.

„Es scheint, als ob die Lehrerin jeden Tag länger vorlesen würde. Es scheint, als ob sie es eilig hätte, die Geschichte zu einem Ende zu bringen. Überspringt sie manchmal klammheimlich Worte, oder vielleicht sogar ganze Zeilen und Absätze? Julius vermutet es. Beklommen sieht er, wie das gelesene Stück immer dicker und das ungelesene immer dünner wird. Schließlich kommt die Stunde, in der die Lehrerin die letzten Zeilen vorliest, einen Moment lang noch das Buch offen auf ihrem Schoß liegen lässt und es dann zuklappt.“

Das Vorlesen als magischer Moment um schwierige Lebensabschnitte besser bewältigen zu können, ist für mich ein zentraler Punkt in dieser Geschichte, der mich sehr berührt hat. (Im Buch „Die verzauberte Stunde“ von Meghan Cox Gurdon – eine Hymne an das Vorlesen – wird ausführlich auf verschiedene Aspekte des Vorlesens eingegangen, die ich alle sofort so, wie sie beschrieben sind, unterschreiben würde.)

Was passiert nun weiter in der Geschichte?

Die Kinder wollen ihrer Lehrerin ein Geschenk machen, wissen aber nicht so recht, womit sie ihr noch eine Freude machen können. Verschiedenste Überlegungen werden angestellt.

Auf der Suche nach dem passenden Abschiedsgeschenk entsteht die Idee, einen schönen bunten Sarg für ihre Lehrerin zu machen, da sie wissen, dass Klara eine dunkle schwarze Kiste Angst macht.

Den Kindern gelingt durch diesen Einfall eine neue unkomplizierte Sicht auf das ernste Thema. Doch die Erwachsenenwelt spielt vorerst nicht mit, und die Kinder hecken heimlich einen Plan aus, um ihre Idee zu verwirklichen.

Mit viel Fingerspitzengefühl schafft es die Autorin in meiner Wahrnehmung einen Bogen über die vielen Aspekte des Lebens in einer Ausnahmesituation zu spannen und der Eindruck, dass Humorvolles und Trauriges oft nah beieinander liegen, wird greifbar.

So beschreibt der kleine Bruder einer Mitschülerin von Julius, der das Geheimnis um das Geschenk dann auch ausplaudert, als Vampirbett. Andere SchülerInnen sehen es als Boot, das über das Meer segelt oder als einen Ballonkorb, der über den Wolken schwebt.

Letztendlich wird der Sarg sogar noch in ein Rennauto umfunktioniert und alle, außer Evelina, vergessen, womit sie hier so viel Spaß haben.

„Willst du wirklich nicht fahren?“ fragt Julius Evelina, als wieder alle zusammenstehen. „Ohne Rennen, nur so.“ „Ich muss an die Lehrerin denken“, flüstert sie. „Es ist doch eigentlich ihr Sarg. Ich kann nicht darin sitzen.“

Jede Figur vertritt in dieser Geschichte einen klaren Standpunkt und spielt ihre Rolle: von der überbesorgten Mutter zur kontrollierenden, helfenwollenden Oma bis zum kranken Opa, der sich in eine sture Teilnahmslosigkeit zurückgezogen hat, dann jedoch wieder „zum Leben erwacht“. Auch die Charaktere der Kinder wirken auf mich authentisch und machen das Miteinander in den Dialogen und Handlungen so lebendig.

Die Autorin hat mich in dieser Geschichte an die Hand genommen, mich begleitet und mir das Gefühl vermittelt, dass es möglich ist ohne Berührungsängste auf das Thema Tod zu blicken.

Diese, wie ich finde, in sich stimmige Geschichte mit ihren liebevoll beschriebenen Charakteren und wechselnden Atmosphären, mit ihren ernsten Passagen und heiter-komischen Momenten bietet viele Nuancen um mit Kindern über das Thema Sterben ins Gespräch zu kommen. Und das erscheint mir in einer Zeit und Gesellschaft, die in einem „Ewig-Jung-Sein-Kult“ verhaftet scheint, wichtiger denn je.

Klaras Kiste Book Cover Klaras Kiste
Rachel van Kooij
Jungbrunnen
2008
21,3 x 14,3
136