Rotkäppchen – ein alter Hut?
*vorgestellt von Stefanie Sandhäugl*
Schon wieder ein Rotkäppchen-Buch? Gibt es nicht schon jede Menge davon? Rotkäppchen ist eine der bekanntesten Erzählungen Europas und gehört zu den am häufigsten bearbeiteten, interpretierten und parodierten Märchen. 199 Jahre liegen zwischen der Veröffentlichung der Geschichte der Gebrüder Grimm im ersten Band ihrer Kinder- und Hausmärchen und dem Erscheinen des Buches „Caperucita Roja“ des spanischen Illustrators Adolfo Serra. In dieser Zeitspanne haben unzählige AutorInnen und IllustratorInnen ein und denselben Charakter auf unterschiedliche Weise dargestellt. Was macht Serras Rotkäppchen so besonders?
Adolfo Serra nennt seine Art Geschichten zu erzählen „ein visuelles Spiel“. Er greift die Grundelemente des Märchens auf und interpretiert sie auf seine ganz eigene Art und Weise. Er reduziert die Farbwahl auf schwarz, weiß, rot und ein paar Tupfen gelb und kommt ganz ohne Worte aus. Als LeserIn wird man überrascht und herausgefordert. Man stößt auf ungewöhnliche, zauberhafte, mysteriöse Bilder, die die Fantasie und die freie Interpretation anregen.
Mit Rotkäppchen manifestierte sich der Stil, für den Serra bekannt ist und den er selbst als „metaphorisch“ und „poetisch“ beschreibt. „Metaphorisch“? Wie kann man sich das vorstellen? Der unheimliche Wald mit seinen kahlen, knorrigen Ästen verschmilzt mit dem struppigen, rauen Fell des ebenso unheimlichen Wolfes – zwei Dinge: Wolf und Wald, die physikalisch eigentlich nicht vereinbar sind, werden eins – werden zu einer visuellen Metapher. Der Schwanz des Wolfes wird zum holprigen, Unheil verheißenden Weg, der zum Haus der Großmutter führt, seine spitzen Zähne zu einer Treppe, die in seinem Maul endet. Man wechselt rasant von einer Perspektive zur anderen und begleitet dabei ein zwar etwas skeptisches, aber durchaus unerschrockenes Rotkäppchen.
Als Vorleserin schätze ich Bücher besonders, die sowohl mich, als auch die Kinder zum Fantasieren auffordern und uns in einen angeregten Dialog treten lassen. Serras Idee vom „visuellen Spiel“ funktioniert und ich kann nur jedem empfehlen, es auszuprobieren. Wie schön ist es, zuzuhören, wenn die Kinder „vorlesen“ und dabei ganz neue Rotkäppchen-Geschichten entstehen.
Rotkäppchen
aracari
12.2.2012
21,8 x 26,2 x 1,0 cm
40
Adolfo Serra