Mehrsprachigkeit
*vorgestellt von Astrid Postl*
„Niemand ist einsprachig.“[1] oder anders gesagt „Jeder Mensch ist mehrsprachig“.
Wer sich mit offenen Augen und Ohren (und offenem Herzen) durch die Straßen und im eigenen Umfeld bewegt, wird früher oder später unweigerlich damit in Berührung kommen, denn längst ist sie Teil unserer Alltagsrealität. Die Rede ist von Mehrsprachigkeit, die in vielerlei Hinsicht von einem Randthema zu einem Thema von großer Relevanz geworden ist.
Wissenschaftlich fundierte, sehr anschaulich dargelegte und (für mich sehr) bereichernde Einblicke zum Spracherleben, Spracherwerb und Umgang mit Sprache sowie aktuelle Zugänge aus soziolinguistischer Sicht zu dieser Thematik bietet das Buch „Mehrsprachigkeit“ von Brigitta Busch.
Unterschiedliche Perspektiven hinsichtlich Mehrsprachigkeit bzw. gesellschaftlicher Heteroglossie* werden darin aufgegriffen und näher betrachtet. Neben theorieorientierten Ausführungen werden auch praktische Anregungen zur Arbeit mit Sprachbiografien (z. B. das Sprachenporträt) zur Sichtbarmachung der (eigenen) Mehrsprachigkeit sowie Beispiele für den Umgang mit Mehrsprachigkeit in unterschiedlichen Institutionen und Organisationen (u. a. im Rechtswesen, Gesundheitswesen und Schule) erläutert. Das Konzept der Heteroglossie finde ich besonders bemerkenswert, da es Sprachen nicht als voneinander abgegrenzte und abzählbare Einheiten versteht, sondern die Gesamtheit der sprachlichen Vielfalt, die sich nicht eindeutig zuordnen und systematisieren lässt, ins Blickfeld rückt.
*‚Heteroglossie‘ meint dabei Redevielfalt, konkret, dass Menschen innerhalb alltäglicher Situationen unbewusst (z. B. beim Einkaufen, in Gesprächen mit Freund*innen, bei der Behörde, beim Lesen eines Romans oder bei der Beschreibung eines Weges für Tourist*innen) auf vielfältige Kommunikationsweisen und Redemittel zurückgreifen und ihrem Gegenüber entsprechend sprachlich unterschiedlich (angemessen) handeln.
Hier näher und angemessen ins Detail zu gehen – so sehr ich möchte – ist ein Ding der Unmöglichkeit. Hervorheben möchte ich daher in aller Kürze zwei Punkte, die mir besonders am Herzen liegen: das Sprachenporträt und die „Kleinen Bücher“.
Das Sprachenporträt eignet sich als kreative Methode wunderbar für die Bewusstwerdung und Darstellung der eigenen sprachlichen Ressourcen und vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten. Für Groß und Klein stellt es eine spannende Möglichkeit dar, die eigene Mehrsprachigkeit sichtbar zu machen und sich so des eigenen Sprachreichtums bewusst zu werden.
Mittels Farbcodes für die eingezeichneten Sprachen und Kommunikationsmittel und der entsprechenden Legende, können die sprachlichen Mittel in oder auch außerhalb einer vorgezeichneten Körpersilhouette festgehalten und in einem anschließenden Gespräch darüber erzählt werden. Zu berücksichtigen ist dabei, dass es sich beim Sprachenporträt um eine Momentaufnahme handelt, da die Wahrnehmung von Sprache(n) sowohl emotional als auch durch Einflüsse von außen geprägt wird und daher nicht starr ist.
Sprachporträt – heteroglossia.net
Im Zusammenhang mit dem Sprachenporträt sei auch das Forschungsnetzwerk heteroglossia.net erwähnt, das sich mit Mehrsprachigkeitsforschung beschäftigt und die Silhouette als Download in einer Version für Erwachsene sowie einer Version für Kinder zur Verfügung stellt. Home – heteroglossia.net
Wie ein Sprachenporträt aussehen kann, zeigt die folgende Darstellung:
Mehr zum Projekt „Kleine Bücher“ gibt es dann im nächsten Blogbeitrag zu lesen 😉.
Weitere Einblicke in die faszinierende Thematik der Mehrsprachigkeit sowie Ergänzungen bezüglich neuerer Entwicklungen (u. a. hinsichtlich der Gebärdensprache, migrations- und sprachenpolitischen Entwicklungen und ,sprachlicher Diversität und Bildung‘) bietet die 2021 erschienene dritte aktualisierte und erweiterte Auflage.
Ein Fachbuch, das sich an Mehrsprachigkeits-Interessierte wendet und nicht nur ein gutes Werkzeug für das Studium der Phänomene sprachlicher Vielfalt darstellt, sondern auch hinsichtlich „der notwendigen Auseinandersetzung mit Politiken, die darauf abzielen, gesellschaftliche Ungleichheiten und Ausschlüsse mit ,Sprache‘ zu begründen und über Sprache auszutragen.“ (Busch, Brigitta (2021): Mehrsprachigkeit. Facultas: Wien, S. 5).
[1] Busch, Brigitta (2012): Das sprachliche Repertoire oder Niemand ist einsprachig. Vorlesung zur Verleihung der Berta-Karlik-Professur an der Universität Wien. Klagenfurt/Celovec: Drava.
Fachbuch - Sprachwissenschaft
Facultas
2021 | 3. vollst. überarb. u. erw. Aufl.
150 x 215 mm
255
https://www.lehmanns.de/shop/sozialwissenschaften/56636621-9783825256524-mehrsprachigkeit