Die Sonnenschaukel
*vorgestellt von Veronika Albrecht*
Bevor wir die verschiedenen Jahreszeiten riechen können, bevor wir ihren steten Wechsel unzweifelhaft spüren, gibt es eine Zeit, in der diese sinnlichen Erfahrungen noch nicht abrufbar gespeichert sind. Für ganz junge Kinder geht der Wandel, den die Natur im Kreislauf vollzieht, noch mit richtig viel Staunen einher, gleichzeitig aber auch mit viel Erklärung, Musik und Gestaltung, denn der Jahreskreis ist eine der ganz großen Angelegenheiten im Kindergarten, in der Familie, in den Geschichten.
Obwohl das Thema ein Grundmotiv der Poesie ist und wohl seit Anbeginn der Zeit gerne in Reimform daherkommt, gelingt die Transformation in wirklich ansprechende Lyrik für Kinder nicht vielen Künstlern so gut. Mit ihrem Werk „Die Sonnenschaukel“ hat Sigrid Eyb-Green hier ganz schön vorgelegt, finde ich.
Siehst du, wie flink Frau Knochenbein
den feinen Faden spinnt?
Sie webt daraus den
Frühlingstraumfür’s Amselkind,
im Amselei,
im Nest aus Federflaum.
Ihre Sprachbilder sind wunderschön und leicht, dabei aber so ausdrucksstark und verdichtet, dass in wenigen Zeilen die Wunder der Metamorphose eines Gartens ein ganzes Universum erschließen. Ihre Illustrationen stehen dem um nichts nach, sie sind so voller wunderbar gestalteter Details, stimmig in Technik und Form, dass es durchaus länger dauern kann, bis man das Werk in seiner Gesamtheit erfasst hat.
Das ist für mich eine sehr wichtige Eigenschaft guter Bilderbücher: wenn es immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt, wird jedes Vorlesen zur Abenteuerreise.
Vier Zwerginnen sind die Allegorien der Jahreszeiten, Bewohnerinnen von Zuckererbsenbeet und Brombeerbusch, von Hagebuttenstrauch und Amselnest, „zu Gast inmitten Lauch und Kohl“.
Sie spiegeln die kindliche Erlebniswelt im Garten, wo man ganz und gar im Moment sein kann, weil jedes Stück ein Kosmos ist.
Die Illustrationen füllen jeweils eine Doppelseite.
Mein Lieblingsbild ist jenes, auf dem die winterliche Frau Knochenbein auf einem zugefrorenen Teich eisläuft, die Hände in einen „Muff“ gesteckt, mit roten Lippen und Backen. Unter ihr schlafen die Fische, friedlichst abgeschirmt durch die weiße kalte Trennschicht, in ihrem lebendig bunten Habitat.
Die Genauigkeit und detailgetreue Ästhetik in den Bildern zeigt sich vom angeschnittenen floralen Mandala am Umschlag, über jede einzelne Seite bis zur Gestaltung des Vorsatzpapiers, das wirkt, als hätte der Wind selbst einmal drüber gehaucht:
Vier Zwergenfrauen war’n zu Gast
inmitten Lauch und Kohl.
Jetzt ziehen sie
– wer weiß wohin? –
und winken Lebewohl.
Lyrik, Bilderbuch
Jungbrunnen
2016
28 x 21 cm
32
Sigrid Eyb-Green
Poesie in Wort und Bild, ein Gesamtkunstwerk.