Die Elefantenwahrheit
*Vorgestellt von Susanne Braunsteiner*
Fünf blinde Wissenschaftler haben gerade die Frage nach dem Sinn des Lebens beantwortet. Nun sind sie müde und wollen sich auf der Terrasse aufwärmen. Sie zitieren das Sonnengesetz Nr. 1: „Was die Sonne bescheint wird warm, wenn kein kalter Wind weht“. Sie applaudieren einander und legen sich zurück in ihre Liegestühle.
Dann stellt sich ein Elefant vor die Sonne und die fünf Wissenschaftler sitzen im Schatten.
Des Sehens nicht mächtig, hören sie nur ein stilles Atmen. “ Da steht ein Mensch oder ein Tier und verhindert unsere Erwärmung. Wenn wir wissen wollen wie wir es vertreiben können, müssen wir wissen was es ist“.
Also machen sie sich auf den Weg und jeder der fünf Wissenschaftler stellt seine eigene, unverrückbare Wahrheit auf.
Der Erste, der den Rüssel zu fassen bekommt, erklärt diesen für einen Feuerwehrschlauch von einem Feuerwehrauto. “ Wir müssen einen Brand legen, dann fährt das Feuerwehrauto weg. Das Feuerwehrgesetz Nr. 1 lautet: „Wo ein Feuer ausbricht, muss ein Feuerwehrauto hinfahren.“
Der Zweite bekommt ein Bein zu fassen und erklärt: „Das ist in Wahrheit ein Baum, eine Sekundeneiche.“
Der Dritte gerät an den Schwanz des Elefanten und hält diesen für eine Klobürste. Er erntet großes Gelächter.
Der Vierte ertastet ein Ohr und erklärt: „In Wahrheit ist das ein fliegender Teppich“.
Der fünfte Wissenschaftler klettert auf den Elefanten und erklärt, die einzige Wahrheit wäre ein Berg, der sich durch ein leises Erdbeben aufgetürmt hat.
Ein riesiger Streit bricht aus und jeder glaubt, er alleine hätte recht und jeder könnte das Hindernis auf seine Weise aus dem Weg räumen.
Dem Elefanten ist es zu laut und er geht einfach weiter. Ein völlig atemloser Zirkusdirektor fragt die fünf Herren ob sie seinen entlaufenen Elefanten gesehen hätten.
„Ein Elefant ist hier nicht vorbeigekommen“, behaupten sie. Und sie sind sich sicher, dass es so ist, in Wahrheit!
Mir gefällt an diesem Buch so gut, dass es zum Philosophieren anregt. Es geht um die eine Wahrheit. Gibt es die eine Wahrheit? Wer bestimmt, was die Wahrheit ist und wer kann das festlegen? Auf diese Frage gibt auch die „Elefantenwahrheit“ keine eindeutige Antwort. Aber sie zeigt, dass man der Wahrheit auch nicht auf die Spur kommt, wenn man verbissen nur seine eigenen Ansichten gelten lässt.
Martin Baltscheit hat hat hier ein Buch mit einem komplexen Thema geschaffen. Eine Geschichte, die zu Diskussionen und Gesprächen anregt.
Für kleinere Kinder ist die Komplexität der Geschichte wahrscheinlich etwas schwierig zu erfassen. Aber durch die gelungenen Illustrationen von Christoph Mett wird hier sehr gut veranschaulicht, was Starrsinn und Unnachgiebigkeit bewirken. Durch den skurrilen Humor der Zeichnungen wird die Tragik der Blindheit der Wissenschaftler permanent verbildlicht. Sie wirkt aber nicht verschreckend, sondern unterstreicht ihre Persönlichkeit in der Geschichte. Die Illustrationen wirken nostalgisch, was man besonders an der Kleidung der Herren und an verschiedenen Dingen des Alltags erkennen kann. Zusammen mit der pastellig-erdigen Farbgebung wirken die Bilder sehr ausgewogen. Leicht karikaturenhaft sehen die Illustrationen aus und wirken so dem schweren Thema humorvoll entgegen.
Die „Besserwisserei“ der Wissenschaftler schützt sie aber nicht vor dem Tritt in die Elefanten-Haufen.
Bilderbuch
Kinderbuchverlag Wolff
Querformat
Christoph Mett