Alte und neue Klassiker für Kinder

*Ein Beitrag von Claudia Kronabethleitner*

Jedes Frühjahr organisiert der Büchereiverband Österreichs in allen Bundesländern im Rahmen der Leseakademie zwei Workshops zu aktuellen Themen der Literaturvermittlung und Leseanimation.
In Oberösterreich wird Silke Rabus Ende Juni  unter dem Motto „Bilder ohne Worte“ Bilderbücher präsentieren, die ganz ohne Text auskommen und dazu Veranstaltungskonzepte vorstellen.

Sabine Mähne von LesArt Berlin lud kürzlich im Workshop „Alte und neue Klassiker für Kinder“ ein zu hinterfragen, wie zeitgemäß Alice, Momo, Ronja und Co noch sind.


Das Berliner Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur LesArt konzipiert kreative Modelle zur literarisch-ästhetischen Bildung, die von kindlichen beziehungsweise jugendlichen Lebens-, Lese- und Bilderfahrungen ausgehen  (aus der höchst informativen Homepage www.leseart.org) und beeindruckt mit einer reichen Veranstaltungstätigkeit  – ca. 300 Veranstaltungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Jahr.
Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur haben in den Veranstaltungsreihen von LesArt Berlin einen Fixplatz: Unter dem Titel „Der Brunnen der Vergangenheit ist tief“ werden literarische Texte vergangener Jahrhunderte und neuere Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur vorgestellt:
Lyrik, Prosa und Dramatik. Ästhetische Impulse, motivische Zugänge und mediale Adaptionen berücksichtigen Rezeptionsweisen von Kindern und Jugendlichen heute. In bildkünstlerischen, spiel- oder theaterpädagogischen Werkstätten erhalten Kinder und Jugendliche die Gelegenheit zur vertiefenden Auseinandersetzung 
(aus der Homepage von LesArt).

Den Workshop von Sabine Mähne habe ich besucht und  gemeinsam mit fast 30 Bibliothekarinnen bin ich einen Vormittag lang in die Welt der Kinder- und Jugendbuchklassiker eingetaucht. Eingeleitet hat Sabine Mähne das Seminar mit einem Memory-Spiel. Auf 30 Memorykarten waren Figuren aus großteils bekannten Kinder- und Jugendbüchern abgebildet. Eine feine Idee mittels eines Spiels zu vermitteln, welche Werke zu Klassikern gezählt werden!
Im Anschluss daran stellten wir in einer Begriffsdiskussion Überlegungen an, welche Merkmale Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur haben. Sabine Mähne hatte eine Sammlung von Aussagen dreier Expertinnen (Bettina Kümmerling-Meibauer, Bettina Hurrelmann und Heidi Lexe) vorbereitet, die wir mit eigenen Einschätzungen und Erfahrungen ergänzten. Eine genaue Beschreibung erweist sich in der Kinder- und Jugendliteratur als nicht einfach, da ganz unterschiedliche Werke unterschiedlicher Qualität zu Klassikern im Kinder- und Jugendbereich gezählt werden.
In Inhalt, Motiv, Genre oder Erzählstruktur sollte ein klassisches Werk innovative Merkmale  enthalten und  entweder neue Sprachformen  erfinden oder verschiedene Sprachstile vereinen. Typisch für Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur ist auf jeden Fall, dass fantastische Lebenswelten und Figuren auf die realen Lebenswelten von Kindern treffen. Sie geben die Ängste, Träume und Sehnsüchte der Kinder wieder und beflügeln unsere Fantasie.  Sehr häufig spielen in den Geschichten kindliche „Normenbrecher und Verweigerer“ eine wichtige Rolle. Klassiker für Kinder und Jugendliche sind oft mehrdeutig, beinhalten humorvolle und satirische Episoden, der Schluss ist häufig offen. Die Beliebtheit bei Kindern und Erwachsenen über mehrere Generationen hinweg ist ohne Zweifel ein wichtiges Kriterium. Die unterschiedliche mediale Aufbereitung (Hörbuch, Theater, Film) trägt dazu bei.
Klassiker werden regelmäßig neu aufgelegt, wobei mir auffällt, dass manche Werke in den letzten Jahren verstärkt in verschiedenen Formaten – für unterschiedliche Altersgruppen – angeboten werden: z.B. in gekürzter Form als Bilderbuch oder Erstlesebuch sowie als sehr aufwendig gestalteter Prachtband.
Spannend ist es, wenn man diese Kriterien auf heutige „Kultbücher“ und Bestseller anwendet und sich fragt, welche wohl „überleben“ werden …………….

Nach der Auseinandersetzung mit den Merkmalen von Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur zeigte Frau Mähne verschiedene Möglichkeiten, einzelne Werke für die Vermittlungsarbeit aufzubereiten:
So wurde uns mit  temporeichen Übungen in Form von Kreisspielen ein Einstieg in eine Veranstaltung zu Momo von Michael Ende sehr anschaulich präsentiert. Es breitete sich dabei ganz schnell Hektik aus,  die  Kindern und Jugendlichen gewiss gut die Thematik näher bringt.
Auch die  spielerische Einführung  (Textauschnitte mit verteilten Rollen lesen und herausgelöste Bildteile entsprechend zu einem Gesamtbild ordnen) an Hernriette Sauvants Illustration des Textes Der kleine Häwelmann von Theodor Storm bot einen Einblick, wie man sich mit ästhetischen Impulsen einem Text nähert.

Sehr interessant  war es, zum Bilderbuch „Wo die wilden Kerle wohnen“ von Maurice Sendak den Kinderfilm von Spike Jonze und den Roman von Dave Eggers kennenzulern.
Film und Roman erschließen die unbeschriebenen Stellen der Geschichte, die so im medialen Vergleich auch für ältere  Altersgruppen spannend aufbereitet werden kann.

Noch einiges mehr hätte Sabine Mähne von LesArt Berlin im Programm gehabt, der halbe Tag war jedoch leider sehr schnell vorbei.
Dennoch war der Workshop sehr motivierend aus dem  „Brunnen der Vergangenheit“ zu schöpfen und die eine oder andere Kostbarkeit für die eigene Vermittlungsarbeit zu heben.

Literatur:
Lewis Caroll : Alice im Wunderland. Illustriert von John Tenniel. Dressler Verlag 2000
Dave Eggers: Bei den wilden Kerlen . Kiepenheuer & Witsch 2009
Wo die wilden Kerle wohnen. Warner Home Video DVD 2010
Maurice Sendak: Wo die wilden Kerle wohnen. Diogenes 2013
Theodorm Storm: Der kleine Häwelmann. Illustriert von Henriette Sauvage. Aufbau Verlag 2006

Weitere augewählte Bücher:
Atak: Verrückte Welt. Jacoby & Stewart 2009
Roald Dahl: Sophiechen und der Riese. Rowohlt 2016
Louise Fatio: Der glückliche Löwe. Illustriert von Roger Duvoisin. Kerle Verlag 2004
Heinrich Hoffmann: Struwwelpeter. Esslinger 2007
Jonathan Swift: Gullivers Reisen. Illustriert von Chris Riddell. Sauerländer 2006